Talent- und Potenzialförderung
Die Unterstützung der Entwicklung und Realisierung des leistungsbezogenen Potenzials (und damit der Begabung in Leistungen) durch Förderangebote i.w.S. kann als Begabungs- oder Talentförderung bezeichnet werden.
Die Verwendung des Begriffs Begabungsförderung legt sprachlich den Schwerpunkt auf die Entwicklung von Begabungen, die Verwendung des Begriffs Talentförderung fokussiert sprachlich etwas stärker die Leistungsentwicklung in bestimmten Domänen. Wenn es darum geht, was gute Förderung ausmacht, sind im Grunde jedoch beide Begrifflichkeiten austauschbar.
Da die Leistungsentwicklung nicht nur von der Person allein abhängig ist, sondern auch von äußeren Gegebenheiten und deren komplexen Wechselwirkungen mit der Person, kann sich die Begabungs- oder Talentförderung nicht nur allein auf die Person konzentrieren, sondern muss ihre Lebenssituation und weitere externe Einflussfaktoren mitberücksichtigen. Die Entwicklung des eigenen leistungsbezogenen Potenzials ist ein langfristiger Prozess. Aus dieser Entwicklungsperspektive und unter Verwendung eines dynamischen und multidimensionalen Begabungsbegriffs folgt für die Begabungs- und Talentförderung:
Dynamischer Begabungsbegriff -> prozessbezogene Diagnostik:
Mit der Entwicklung kann sich das, was ein hohes leistungsbezogenes Entwicklungspotenzial ausmacht, verändern, denn auch die Leistungsanforderungen verändern sich im Entwicklungsverlauf. Zum Beispiel kann am Anfang eine schnelle Auffassungsgabe entscheidend sein, im weiteren Verlauf der Entwicklung kann es aber zunehmend wichtig werden, bestimmte Fertigkeiten durch Übung zu automatisieren. Dafür reicht Auffassungsgabe alleine nicht mehr aus, sondern es müssen Lernstrategien und selbstregulative Fertigkeiten hinzukommen, um die eigene Leistung weiterentwickeln zu können. Aus diesem dynamischen Begabungsverständnis ergibt sich für die Begabungs- und Talentförderung konsequenterweise die Notwendigkeit einer prozessbezogenen Diagnostik. Eine einmalige Statusdiagnostik (z.B. mittels Intelligenztest) allein reicht hier nicht aus.
Multidimensionaler Begabungsbegriff -> individuelle Förderung der gesamten Person:
Begabungen umfassen neben Fähigkeiten auch Persönlichkeitsmerkmale und (erlernbare) psychosoziale Fertigkeiten. Leistungsfördernde, sich entwickelnde und damit förderbare Persönlichkeitsmerkmale sind z. B. Interessen oder Selbstwirksamkeitserwartung; leistungsförderliche und trainierbare psychosoziale Fertigkeiten sind z.B. Selbstregulation oder Durchsetzungsfähigkeit. Aus diesem multidimensionalen Begabungsverständnis ergibt sich für die Begabungs- und Talentförderung konsequenterweise die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Vorgehens, bei dem Fähigkeitserwerb und Persönlichkeitsbildung Hand in Hand gehen. Insgesamt geht es bei der Begabungs- und Talentförderung also darum, die allgemeinen oder auch spezifischen Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale und Fertigkeiten von Kindern und Jugendlichen in jeweils spezifischen Leistungsbereichen zu fördern, um deren Möglichkeiten Wirklichkeit werden zu lassen.
Der interdisziplinäre Forschungsverbund LemaS hat sich zu Beginn seiner Arbeit auf einen gemeinsamen Begabungs- und Leistungsbegriff verständigt und diesen im Austausch mit den beteiligten Schulen und der Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Rahmen von „Leistung macht Schule“ weiter diskutiert. Ein von allen Partnern geteiltes mehrdimensionales, entwicklungsbezogenes Begabungs- und Leistungsverständnis, das die Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler einschließt, bildet seitdem die Grundlage der gemeinsamen Arbeit. Das einheitliche Verständnis von Begabungs- und Begabtenförderung, Potenzial- und Talentförderung steht damit in direktem Zusammenhang.
Weiterführende Literatur:
Holling, H., Preckel, F., Vock, M., Roßbach, H.-G., Baudson, T. G., Gronostai, A., Kuger, S. &S chwenk, C. (2015). Begabte Kinder finden und fördern. Ein Wegweiser für Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer. Berlin: BMBF.
Fischer, C., Fischer-Ontrup, C. (2018). Individuelle Begabungs- und Talentförderung in der Schule. In O.-A. Burow & S. Bornemann (Hrsg.), Das große Handbuch Unterricht & Erziehung in der Schule (S. 407–427). Köln: Wolters Kluwer.
iPEGE (Hrsg.) (2009). Professionelle Begabtenförderung. Empfehlungen zur Qualifizierung von Fachkräften in der Begabtenförderung. H. 1. Salzburg: ÖZBF.
Weigand, G. (2021). Begabung, Bildung und Person. In V. Müller-Oppliger & G. Weigand (Hrsg.), Handbuch Begabung (S. 46-64). Weinheim/Basel: beltz.