Lernformat – Lernen im Format
Nach Bruner sind Formate eingespielte, standardisierte Ablaufmuster von Handlungs- und Redeaktivitäten zwischen Kind und Erwachsenem. Als verabredete Ereignisse, die sprachlich geschaffen und immer wieder herbeigeführt werden können, stiften sie Orientierung und Sicherheit im Lernprozess, ermöglichen die Auseinandersetzung mit neuen Lerngegenständen und sind für den Spracherwerb von zentraler Bedeutung.
Die lernbegleitenden Aktivitäten bieten den Lernenden im Sinne von Scaffolding ein ‚Gerüst‘, das sie in ihrer Zone der proximalen Entwicklung (Wygotski) unterstützt und begleitet. So lenkt das kompetente Gegenüber beim Sprachlernen die Aufmerksamkeit des Kindes auf einen handhabbaren Bereich und stellt sprachliche Modelle und Muster zur Verfügung, die dem Kind eine selbstständige Teilhabe am Diskurs ermöglichen. Mit dem Ziel der Autonomie wird das ‚Gerüst‘ im weiteren Lernprozess schrittweise zurückgenommen.
Lernen im Format weist folgende Kennzeichen auf:
- Es beruht auf Regeln und Routinen, z.B. in Form von wiederkehrenden kanonischen Sprachhandlungen oder eingespielten Ablaufmustern.
- Es bedarf einer zugewandten und unterstützenden Atmosphäre, in der Novizen sich verstanden und als Person akzeptiert fühlen können.
- Es herrscht eine Asymmetrie hinsichtlich des Wissens der Partner. Erwachsene dienen als kompetente Andere, als Modell, Vorbild und Gerüst und unterstellen den Lernenden, Gesprächspartner/in im vollwertigen Sinn zu sein.
- Formate betten Äußerungen in eine kulturelle Matrix ein, die durch sie zugleich (voraus)gesetzt und geschaffen wird. Die Lernenden lernen als Mitglied einer kulturellen Gemeinschaft dabei den Gebrauch von Sprache mit ihren spezifischen Regeln, Normen und Themen.
In schulischen Gesprächen – wie dem Vorlesegespräch und dem Heidelberger Modell des Literarischen Unterrichtsgesprächs – eröffnen Formate die Möglichkeit, Gesprächsnormen und -formen transparent einzuüben und zugleich reflektierbar und modifizierbar zu machen.
Weiterführende Literatur:
Bruner, J. (1978). The Role of Dialogue in Language Acquisition. In A. Sinclair, R.J. Jarvella & W.J.M. Levelt (Hrsg.), The Child’s Conception of Language (pp. 241-256). Berlin & New York: Springer.
Bruner, J. (2002). Wie das Kind sprechen lernt (2., erg. Aufl.). Bern: Huber.
Steinbrenner, M. & Wiprächtiger-Geppert, M. (2010). Verstehen und Nicht-Verstehen im Gespräch. Das Heidelberger Modell des Literarischen Unterrichtsgesprächs. In: Leseforum Schweiz. Literalität in Forschung und Praxis (3), 1-15. https://www.leseforum.ch/sysModules/obxLeseforum/Artikel/434/verstehen-und-nicht-verstehen-im-gespraech.pdf (Abruf 12.10.2020).