Individualisierung / individuelle Förderung

Individualisierung / individuelle Förderung ist ein zentraler pädagogischer Denk- und Handlungsanspruch, der sich aus der Diversität der Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse sowie den vielfältigen Begabungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler ergibt. Übergeordnetes Ziel aller Maßnahmen der individuellen Förderung ist es, die Leistungspotenziale aller Lernenden bestmöglich zur Entfaltung zu bringen sowie gleichzeitig ein Höchstmaß an sozialer Teilhabe für alle Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen.
Individuelle Förderung wird als zyklischer, kumulativ verlaufender und dynamischer Prozess aus diagnosebasierter Förderung und förderbasierter Diagnose verstanden. Entsprechend folgt die Umsetzung dem methodisch-didaktischen Grundsatz der Sequenzialität, d.h. die Planung, Organisation und Durchführung verläuft entlang eines Dreischritts aus Diagnose, Förderung und Evaluation.

Zur bestmöglichen Gestaltung individueller Lernprozesse und Entwicklung persönlicher Leistungspotenziale ist die systematische Anpassung des schulischen Lernangebotes an die diagnostizierten individuellen Lernbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler erforderlich. Umgesetzt wird individuelle Förderung durch «makro-adaptive» Anpassung der Unterrichtsplanung und -gestaltung an die diagnostizierten Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler oder als «mikro-adaptives» Handeln in konkreten Lehr-Lern-Situationen (Dumont, 2018). Eine systematische pädagogische Diagnostik ist Grundlage einer gezielten individuellen Förderung der einzelnen Schülerinnen und Schüler im Sinne eines proaktiven Umgangs mit Heterogenität. Es bedarf Lernumgebungen, in denen Schülerinnen und Schüler mit individuellem Förderbedarf oder individuellen Lernschwerpunkten ihre Stärken entfalten und ihre Schwierigkeiten kompensieren können. Demnach richtet sich individuelle Förderung gleichermaßen an (potenziell) leistungsstarke Schülerinnen und Schüler etwa mit besonderen Begabungen als auch leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler etwa mit speziellen Beeinträchtigungen oder aus benachteiligten Lagen im Sinne der inklusiven Bildung.

Letztlich bedarf individuelle Förderung einer gezielten Adaptation des unterrichtlichen Forder-Förder-Angebotes an die diagnostizierten personalen Forder-Förder-Bedarfe mit dem Ziel einer optimalen (Weiter-)Entwicklung individueller Fähigkeits- und Persönlichkeitspotenziale aller Schülerinnen und Schüler. Damit werden Forderungen aufgegriffen, die aus den Befunden der internationalen Schulvergleichsstudien (z.B. PISA-Studien, TIMSS, IGLU, Bildungsevaluation) resultieren, sodass individuelle Förderung mittlerweile in den Schulgesetzen aller Bundesländer verankert ist.

Individuelle Förderung umfasst alle Handlungen von allen am Lehr-Lern-Prozess beteiligten schulischen und außerschulischen Akteuren und verfolgt den Anspruch, alle lehr- und lernrelevanten, intra- und interindividuellen sowie gruppenbezogenen Differenzlinien zu berücksichtigen. Die Planung, Organisation und Durchführung von individueller Förderung ist zudem verbunden mit einer Reihe von allgemeinen sowie spezifischen Herausforderungen, wie z.B. Fragen des Workloads auf Seiten der Lehrpersonen oder Fragen der Lernvoraussetzungen auf Seiten der Lernenden. Hierfür bieten u.a. Ansätze der Personalisierung einen schulpädagogischen Handlungs- und Orientierungsrahmen.

Weiterführende Literatur:
Fischer, C. (2014). Individuelle Förderung als schulische Herausforderung. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Helmke, A. (2017). Lehrerprofessionalität und Unterrichtsqualität (7. Auflage). Seelze-Velber: Klett; Kallmeyer.

Herbig, C. (2020). Individuelle Förderung durch Personalisierung: Zum bildungsgerechten Umgang mit Vielfalt am Gymnasium. In: C. Fischer et al. (Hrsg.), Begabungsförderung: Individuelle Förderung und Inklusive Bildung, Bd. 10: Begabungsförderung. Leistungsentwicklung. Bildungsgerechtigkeit. Für alle! Beiträge aus der Begabungsförderung (S. 85-95). Münster [u.a.]: Waxmann.
Klieme, E. & Warwas, J. (2011). Konzepte der individuellen Förderung. Zeitschrift für Pädagogik6, 805–818.

Solzbacher, C., Behrensen, B., Sauerhering, M. & Schwer, C. (2012). Jedem Kind gerecht werden?: Sichtweisen und Erfahrungen von Grundschullehrkräften. Praxiswissen Unterricht. Köln: Carl Link.